Gerade dann, wenn der Druck am größten ist, kommt irgendwoher dieser unnötige Spruch „Lass dich doch nicht stressen!“. Doch so nervig er ist, so wahr ist er auch. Meistens leichter gesagt als getan, oder? Unsere Branche hat außerordentliches Arbeitspensum schon immer zum Lifestyle stilisiert. Dennoch gibt es auch für uns ein paar wichtige Hacks. Denn gerade zwischen dem 40. und dem 55. Lebensjahr ist die Gefahr für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen am höchsten.
Zurückgeforderte Überbrückungshilfen, zurückzuzahlende Coronadarlehen und sinnlos erscheinende Dokumentationspflichten sind typische Stressoren. Und wenn man selbst weder Ursache noch Folgen beeinflussen kann, entstehen Hilflosigkeit und Frust. Wenn zu viele Aufgaben gleichzeitig erledigt werden sollen, sorgt das für Resignation. Letzteres kann man sich in der Produktion, wo jedes Teammitglied zählt und sich jede*r auf jede*n verlässt, gar nicht erlauben. Aber auch in andere Jobs möchte man sich die Nichterfüllung seiner Pflichten nicht erlauben und zwingt sich selbst an die eigenen Grenzen.
Echter Burn-out, also das Kollabieren des Körpers an der akuten Überbelastung, wird selten sichtbar oder erkannt, schließlich handelt es sich nur um eine Symptombeschreibung, aber keine Krankheit und schon gar keine Berufskrankheit – zumindest in Deutschland. Der chronische Verschleiß der Kräfte durch Dauerstress, nach den Autoren te Wildt/Schiele in „Burn On: Immer kurz vorm Burn Out“ inzwischen als Begriff auch bei Krankenkassen etabliert, beschreibt Zustände, die wir von 50+ Stundenwochen gut kennen. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das Thema Work-Life-Balance damit erst mal nicht viel zu tun hat. Berufliche Herausforderungen, auch unter hohem zeitlichen Aufwand, führen durchaus zu Befriedigung und einer hohen Selbstwertschätzung. Wichtig ist deshalb, negative Stressoren zu identifizieren.
Arbeiten, die keinen Mehrwert stiften, die unsinnig sind und deshalb mit Adjektiven wie „vergeblich“, „vergeudet“, „umsonst“ umschrieben werde können, sollten uns für die Problematik sensibilisieren. „Ertragen oder ändern“ funktioniert eben gerade bei staatlichen Auflagen nicht. Hier liegt großes Frustpotential durch zu komplizierte und insbesondere ineffiziente Verwaltungsvorgaben. Das Problem erkannt und verstanden? Gut, dann widmen wir uns jetzt den schnellen Lösungen.
Überprüfe die Aufgaben, die du mit „ich muss“ oder „ich kann nicht“ beschreibst und prüfe, ob sie durch „ich entscheide mich für“ oder „gegen“ ersetzt werden können. Du wirst erstaunt sein, wie vermeintlich wichtige To-dos an Priorität verlieren.
Grenze deine Rollen ab und bleibe immer in deinen Grenzen. Was heißt das?
Deine Rolle als Familienglied bedarf deiner Aufmerksamkeit als Mutter, Vater, Schwester, Bruder, Tochter, Sohn. Firmentelefonate beim gemeinsamen Ausflug, E-Mails bearbeiten bei den Eltern im Pflegeheim und Reports am Esstisch solltest du unterlassen. Es wird der Tag kommen, an dem du bereust, die Zeit nicht genossen zu haben.
Genauso wichtig ist es, deine Rolle im Unternehmen, zum Beispiel als Teil der Projektleitung oder Geschäftsführung, abzugrenzen. Empörung im Beruf ist erlaubt, aber nimm Entwicklungen im Job nie persönlich und nimm sie nicht mit nach Hause. Wenn du morgen umfällst, wird jemand anders deine Rolle dort einnehmen. Jeder (ehrlich!) ist ersetzbar.
In den USA gibt es hierzu schöne Management-Trainings, die es leider (nach meiner Kenntnis) nicht nach Deutschland geschafft haben. Dort werden Tasks den zugehörigen Role-Models zugeordnet und die Abgrenzung trainiert.
Arbeiten Paare oder mehrere Familienmitglieder im selben Betrieb oder auf dem gleichen Projekt ist die Abgrenzung für Beruf und Familie existenziell. Die Rollentrennung ist umso schwieriger und erfordert Disziplin. Vereinbart firmenfreie Zeiten, zum Beispiel von 9 bis 9 (also von 21 Uhr bis 9 Uhr morgens), oder einen firmenthemenfreien Tag. Umgekehrt gehören auch private Themen nicht in den Joballtag. Dafür gibt es Pausen. Gerade wenn Familienangehörige unterschiedliche Rollen vertreten müssen, Chef*in des anderen oder ähnliches sind, kann das Betriebsklima mit der Belegschaft leiden. Wenn ihr beide arbeitet und trotzdem euer Leben auf die Reihe bekommt, sind diese kleinen Organisationsübungen doch ein Kinderspiel für euch, stimmt’s?
Suche dir kleine Erfolge, auch wenn es immer genügend Sorgen geben mag. „Die Herrlichkeit des Lebens“, aktuell im Kino (siehe Tipps), zeigt das am letzten Lebensjahr von Franz Kafka auf. Trotz unheilbarer Krankheit beschreibt er das Leben als voller Glück, manchmal nur verhängt von einem Schleier anderer Eindrücke, aber die Herrlichkeit des Lebens sei immer da.
Achte auf genügend Schlaf. Das geht nicht immer, aber der Schlaf wird ohne Nachrichten-Alerts und E-Mail-Check vor dem Einschlafen garantiert besser. Vermeide zwei Stunden vor dem Einschlafen schlechte Nachrichten – und Fernsehnachrichten sind immer schlecht.
Achte auf gute und ausgewogene Ernährung. Wenn das nicht geht, reduziere schlechte Elemente, wie Koffein, Alkohol und Zucker – am besten auch Fleisch und Industriemahlzeiten.
Nutze alle Sinne: Raumduft, Musik, Lichtgestaltung.
Nimm dir gestaltete Auszeiten. Daheim das Wochenende verschlafen stärkt höchstens den Körper, aber der Geist ist genauso wichtig. Nur beides zusammen kann funktionieren. Nimm dir ein Event vor, vielleicht nur ein kleines. Daran wirst du dich länger erinnern und es wird dich motivieren. Mach ein Foto oder nimm dir ein Andenken mit, damit du dich in besonders stressigen Situationen kurz in die Erinnerung zurückziehen kannst.
Mit der Perfektion, mit der du deinen Alltag organisierst, sollte es doch machbar sein, gute Freunde und die Familie anzurufen oder zu treffen, oder? Es sind diese Momente, die das Leben lebenswert machen.
Wenn du merkst, dass sich deine Kräfte neigen, wende dich rechtzeitig an einen Spezialisten. Das kann der/die Hausarzt*in oder ein Coach*in sein. Höre auf deinen Körper, auf dein Gefühl, und nimm es ernst. Das Leben ist wertvoll, weil es endlich ist. Verpasse nicht den richtigen Zeitpunkt.
Gesundheit und viel Erfolg wünscht Dir,
Dein Ensider:Team
(Autor: Markus Vogelbacher)
Bild: IFP 2023