Viele technologische Neuerungen basieren auf der Annahme, sich wiederholende Prozesse könnten durch starre digitale Abläufe ersetzt werden, nur eben viel schneller. Bei der Einführung einer neuen Software wurde so auch immer das aktuelle Verfahren dokumentiert und damit überprüft. KI-gestützte Systeme passen sich flexibel in komplexe Umgebungen ein. Der überprüfende Zwischenschritt ist bei der Einführung somit nicht mehr essenziell, kann vermeintlich eingespart werden – und fällt damit als Kontrollinstanz aus. In der Folge entstehen immer schwerer beherrschbare, dysfunktionale Organisationsstrukturen, wie man sie sonst nur aus öffentlichen Verwaltungen kennt. Für Unternehmen droht nun die Gefahr, an Skalier-Fähigkeit einzubüßen. Eine Kostenfalle, die Unternehmen in ihrer Resilienz einschränkt.

Im Wirtschaftsbetrieb wird das große Wertschöpfungsziel in viele Teilziele und Organisationseinheiten abgeschichtet. Dabei wird regelmäßig der zu erreichende Sollwert als absolute Zielgröße mit überprüfbaren Kennzahlen definiert. Wird das Ziel verfehlt, muss der Prozess oder der Zielwert an die Realität angepasst werden. Nach diesem Schema werden auch Investitions-, Personal- und Standort-Entscheidungen getroffen.

Dysfunktionale Systeme kennen viele aus der aktuellen Bildungssituation entweder aus eigener Erfahrung oder bei der Begleitung seiner oder ihrer Kinder. Die in Proben gestellten Aufgaben weichen so weit vom Lehrergebnis ab, dass Schüler*innen ab der Grundschule zu einem überwältigenden Teil Nachhilfe nutzen müssen. Ein gigantisches Geschäft für YouTuber, Apps und Nachhilfe-Organisationen in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Im Gymnasium kommt kaum eine Schülerin oder ein Schüler ohne Nachhilfe aus. Der Blick in die Fläche zeigt, dass sich dieses Phänomen nicht auf einzelne Lehrer, Schulen und Schulsysteme oder Bundesländer eingrenzen lässt: Es ist ein kultureller Flächenbrand. Die schlechte Abstimmung mag am föderalen System der Bundesrepublik liegen oder an der Besetzung der Kultusminister*innen über den meist kleineren Koalitionspartner.

Die Schule eignet sich gut als schlechtes Paradebeispiel, weil viele die operativen Abläufe nachvollziehen können. Für eine prägnante Darstellung wechseln wir kurz ins generische Maskulinum, wobei das Beispiel kaum geschlechterspezifische Unterschiede aufzeigen dürfte. Ein guter Schüler schreibt gute Noten. Bei einem guten Lehrer haben viele Schüler gute Noten, denn er kann den Stoff gut vermitteln und ist in der Lage, sich diversifiziert den unterschiedlichen Persönlichkeiten anzupassen. Entsprechend ist ein guter Schnitt, also der Durchschnitt einer Klausur einer ganzen Klasse, eine erste gute Kennzahl, ob Lehre und gestellte Prüfungsaufgabe gut funktionieren.

Hält man das operative Ziel – definiert beispielsweise im Lehrplan – für realistisch, sollte in einer gut funktionierenden Lehrinhalte-Vermittlung (Schule oder Hochschule) der Schnitt wohl zwischen gut und befriedigend liegen. Liegt der Schnitt mehrheitlich im Bereich nicht-bestanden, also unter ausreichend, hat dieser Lernabschnitt offensichtlich nicht funktioniert: Entweder war das Ziel zu ambitioniert (also die Prüfung zu schwer, vielleicht auch als Teilprozess schlecht gestellt, also die Prüfungsstellung unzureichend erbracht) oder die Lehre war schlecht.

Mit klassischem Projektmanagement und durchschnittlicher Führungsqualität, die natürlich auch entsprechende Kennzahlen über ein Qualitätsmanagement erfasst, wäre dieses System durch die stete Wiederholung von Stoff in spätestens zwei bis drei Jahren auf Topniveau. Aber genau das passiert nicht und alle Verantwortlichen wiederholen seit fünf Dekaden, das Bildungssysteme müsse jetzt wirklich besser werden. Warum passiert das nicht? Sind schlechte Rektoren, schlechte Lehrer oder schlechte Bildungspolitik Schuld?

Deutschland ist schlechter als andere vergleichbare Länder, aber innerhalb Deutschlands betrifft das Problem alle Regionen in fast gleichem Ausmaß. Ein typisches Beispiel systemischer Dysfunktionalität. Nicht einfach abstellbar, über Gewöhnung und Priming, fehlende Feedback- und Evaluationskultur, kaum etablierte Qualitätsmanagementzyklen (Plan-Do-Check-Act), unsichere Zuständigkeiten und demotivierendes Verantwortungsmanagement (gute Leistung wird nicht belohnt, schlechte Leistung abgemahnt), gibt es keine schnelle Lösung.

Zurück in der Unternehmenswelt ist die Herausforderung bei der Einführung besonders anpassungsfähiger, smarter Digitallösung, die Objektivität zur Bewertung von Prozessen und Teilzielen zu erhalten. Die Wahrnehmung für ungewöhnliche Lösungsansätze sollten ins Auge fallen.

Im Schulbeispiel ist das die Auffälligkeit der weit verbreitenden Notwendigkeit von Nachhilfe, was in den Generationen vorher so nur vereinzelt vorkam. Im Unternehmensumfeld sind dies häufig weit verbreitete IT-Lösungen, sogenannte Schatten-IT, die fehlende oder schlecht funktionierende Strukturen ersetzen (WhatsApp, private Software oder Weblösungen).

Ein anderes Indiz sind hohe Fehlerquoten, Nacharbeiten oder hohe Fluktuation und Absenz-Zeiten von Mitarbeitenden. Interne Projektgruppen sind dadurch schon deshalb kaum in der Lage, eventuell fehlende oder schlecht funktionierende Strukturen zu ersetzen, weil der Vergleich zu Marktbegleitern fehlt und selten aus anderen Branchen innovative Lösungen übernommen werden können. Große Beratungshäuser nutzen zwar ihre Marktmacht, zeichnen sich aber häufig durch selbstherrliche Arroganz aus.

Ähnlich wie in jedem Filmprojekt sollte der Fokus deshalb auf der im Verhältnis günstigen Projektentwicklung liegen. Ein interdisziplinäres Team von externen Beratern mit Methoden- aber auch Branchen- und Prozesskompetenz hilft, diesem Teufelskreis zu entgehen.

Übrigens: Eure Dienstleistungsunternehmen arbeiten für unterschiedlich organisierte und strukturierte Kunden. Produktive Erfahrungswerte sind dort am günstigsten einzuholen.

Dein Ensider:Team
(Autor: Markus Vogelbacher, © Image by Pete Linforth from Pixabay)