Wenn sich im Mai erneut die Pforten des Marché du Film in Cannes öffnen, blickt die globale Filmwirtschaft gespannt auf das, was kommt. Nach einem turbulenten Jahr mit zögerlichen Käufern, steigenden Kosten und einem schleichenden Rückzug klassischer US-Studios wird deutlich: Der unabhängige Filmmarkt steht vor einer weiteren Zäsur – oder bereits mitten in ihr.

US-Studios zögern – internationale Bewertungen unter Druck

Der spürbare Rückzug US-amerikanischer Kinoverleiher im vergangenen Jahr hatte direkte Auswirkungen auf die Bewertung internationaler Independent-Produktionen. Ohne feste Zusagen aus dem US-Markt verlieren Filme rasch an globaler Attraktivität. Produzenten und Verkäufer müssen daher ihre Finanzierungs- und Vertriebsstrategien überdenken – präzise Datenanalysen gewinnen in diesem Umfeld zunehmend an Bedeutung.

Globale Rechte statt territoriale Verkäufe – Streamer übernehmen

Mit zunehmender Marktkonsolidierung verfolgen Streaminganbieter wie Netflix, Apple TV+ und Amazon Prime eine aggressive Rechtepolitik: Globalrechte für massenmarkttaugliche Produktionen verdrängen das klassische Territoriumsmodell. Apples Vorkauf von „Tenzing“ für 40 Millionen US-Dollar sowie Netflix’ Deal für „Monsanto“ (34 Millionen) sind aktuelle Beispiele für diesen Trend. Kleinere nationale Verleiher haben es dadurch schwerer, sich hochkarätige Inhalte zu sichern.

Streaming verdrängt Kino: Digitalstrategien dominieren

Auf Festivals und Märkten wie AFM 2024 und EFM 2025 zählten digitale Plattformen zu den aktivsten Käufern. Ob SVoD, AVoD oder hybride Modelle – Streamingstrategien mit exklusivem Content stehen klar im Fokus. Gefragt sind entweder hochpreisige Projekte mit bekannten Namen oder schlank produzierte Inhalte mit schnellen Umsatzpotenzialen. Plattformen wie Max und Peacock sichern sich bereits heute Titel für ihre 2025–2026-Portfolios.

Festivalverkäufe: Nur Starpower überzeugt

Trotz insgesamt vorsichtiger Stimmung signalisieren ausgewählte Festivaldeals weiterhin Marktvertrauen – allerdings nur bei stark besetzten Titeln. So sicherte sich A24 Ruben Östlunds „The Entertainment System Is Down“ für über 10 Millionen US-Dollar. Derartige Summen bleiben jedoch Ausnahmen, insbesondere bei Mid-Budget-Filmen ohne klaren US-Release-Plan.

AVOD-Modelle: Genre und Reichweite im Fokus

Das weltweite Wachstum werbefinanzierter Streamingplattformen (AVOD) bietet neue Perspektiven, besonders für Genreproduktionen. Der AVOD-Markt erreichte 2024 ein Volumen von 49 Milliarden US-Dollar – Europa gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. Gerade im Segment Horror, Thriller und Western finden AVOD-Anbieter wachsendes Publikum und erweitern gezielt ihre Rechtebibliotheken.

Steigende Kosten, sinkende Margen

Die Nachwirkungen des Produktionsstillstands schlagen sich weiterhin in stark erhöhten Gagen und Produktionskosten nieder. Viele Independent-Verleiher ohne direkte Output-Deals oder Pay-1-Partnerschaften kämpfen mit hohen Mindestgarantien und schwachem Abverkauf im Home-Entertainment-Segment. Gleichzeitig geraten mittelgroße Produktionen zunehmend unter Druck, zwischen Big-Budget und Mikroprojekten zu bestehen.

Neue Modelle: Co-Exklusivität und Second-Window-Strategien

Zur Risikoabsicherung experimentieren Studios verstärkt mit Co-Exklusivität sowie gestaffelten Lizenzfenstern. Diese Modelle versprechen neue Erlösquellen – erfordern jedoch detaillierte Kenntnis der internationalen Lizenzstrukturen und Streamingraten. Für Produzenten und Rechtehändler wird die strategische Ausgestaltung dieser Deals zur Schlüsselkompetenz.

Ausblick: Orientierung in einem fragmentierten Markt

Trotz der Unsicherheiten bleibt Cannes ein zentraler Seismograf für die Zukunft des Independent-Films. Klar ist: Die Spielregeln haben sich verändert. Wer Streamingdynamiken versteht, Rechte strategisch steuert und die Kostenstruktur im Griff hat, kann aus der Marktverwerfung Chancen ableiten. Ohne diese Voraussetzungen wird es jedoch schwer, im Jahr 2025 und darüber hinaus zu bestehen.

FILMTAKE berichtet ausführlich.

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