Medienkonsum verändert sich: In den Kinos boomen Genre-Filme, während einst unsterblich geglaubte Franchise-Reihen an Reiz verlieren. Authentische Kurzgeschichten stechen langatmige Serien aus. Programm-Fernsehen wird mit den Möglichkeiten der KI aussterben, hießt es. Und dann kommt die UEFA EURO 2024 und setzt neue Maßstäbe. Plattform-Sender-Kooperationen und intermediale Kommunikationskonzepte sind schon in Woche zwei das neue Normal. Medienproduktion wird schneller, unmittelbarer und die Nutzung direkter, interaktiver. Neue Kompetenzen sind gefragt – und etablierte Player haben längst den strategischen Kurs justiert.

Die Fußball-Europameisterschaft bietet viele Aspekte, die es wert sind, genauer betrachtet zu werden. Ein Wettbewerb, den Teams bestreiten, die nach Geschlecht selektiert und Geburtsländern gruppiert sind, scheint heutzutage an sich schon bemerkenswert. Die identitätsstiftende Wirkung auf die unterschiedlichen Fangruppierungen zeigt sich in „Uniformen“ (Fan-Trikots), Symbolen, Gesängen und typischem Gruppenverhalten. Ist das nun die oft zitierte Leitkultur oder nur geübte Folklore? „Das ist doch klar und war schon immer so!“, sagst du jetzt? Stimmt, aber alles andere hat sich verändert. In einem fast grenzenlosen Europa und der rechtlichen Möglichkeit Wohnort, Lebensweise und sogar Geschlecht selbst zu bestimmen, könnte dieses „gestrige“ Verhalten auch befremden. Tut es aber nicht. Das ist doch erfrischend, oder? Erfrischend altmodisch.

Auch beachtlich ist das Konsumverhalten. Entgegen allen abstrakten Analysen zum Nutzerverhalten von Unterhaltungsmedien füllen die Spiele Stadien und Public Viewing Areas – Begegnungsstätten, wie es auch Kinos sind. Obwohl das gesamte Angebot auch bequem von zu Hause oder sogar von irgendwo, dank Mobile Devices, konsumiert werden könnte, verlassen Hunderttausende das heimische Sofa. Und wer dabei ist, stellt fest, dass Second Screens kaum eine Rolle spielen – und sogar die Kommunikation erfolgt größtenteils analog, wie früher – man spricht miteinander, lacht, feiert und singt. Ein Verhalten, wie sonst nur bei der Weihnachtsmesse.

Auch das tradierte Format von etwa 90 Minuten wurde beibehalten. Trotzdem kann ein Spiel über Text, Bild, Videoausschnitte, Videostreaming, Audiokommentare im Radio oder Messenger Snippets weltweit verfolgt werden. Im Stadion wiederum bricht sich Technik Bahn, mit WLAN für die Gäste und den typischen Second-Screen-Inhalten auf großen Public-Screens, wie man das sonst nur von Musikkonzerten kennt. „Film“-Unterhaltung kann hier an vielen Stellen Ideen sammeln.

Dahinter steht ein gigantischer Aufwand, der nur von wenigen Dienstleistern gestemmt werden kann. Auch hier ist interessant, dass trotz der involvierten Hightech-Partner, wie der Telekom, klassische TV-Dienstleister die Content-Verarbeitung erledigen. Ähnliches konnte übrigens bereits in den USA beim Superbowl beobachtet werden. Auch dort überließen die Tech-Giganten dieses Geschäft den Spezialisten.

Neben vielen AÜ- und Technikdienstleistern, oftmals lokal vor Ort in „Broadcast Centern“ und Master Control Rooms koordiniert (die meisten davon im VTFF organisiert) orchestriert die Plazamedia die weit mehr als 40 Signalwege, ohne die in Deutschland außerhalb der Stadien kein Bild zu sehen wäre.

Dass amerikanische Major-Studios sich intensiv mit neuen Nutzungsformen und einer daraus abgeleiteten, globalen Wertschöpfung beschäftigen, dürfte weithin bekannt sein. Shorts, Reels und andere Kurzform-Formate bannen Abermillionen Menschen vor größtenteils kleinen Streams. Durch KI leichter zugängliche, aber dadurch auch entwertete technische Effekte bieten nur kurzfristig einen Vorteil. Was zählt, ist Echtheit, Authentizität „ohne Filter“, Realität eben. Die Black Forest Studios haben ihr dazu Konzept im international erfolgreichen, Oscar-prämierten „Nawalny“ eingebracht. Gerade Virtual Production, also die Kombination aus „Bluebox-Stanztechnik“ und „Echtzeit-Grafik“ wird hier, laut Experten, einen massiven Anteil tragen. Personen und Gegenstände können dort eingebaut werden, wo die Aufnahmen stattfinden – auch wenn sie nicht dort sind. Der Hintergrund mit allen Elementen wird im Studio nachgebildet. Vorteile für die Flexibilität, mehr Möglichkeiten für die Kreativität, aber vor allem Wertschöpfungspotenzial durch die Unmittelbarkeit und Gleichzeitigkeit: Reale Erlebnisse können viel flexibler inszeniert werden, weder Technologie noch Raum unterliegen Beschränkungen. 

In großen Shows und fiktionalen Produktionen hat diese Technik längst Einzug gehalten. Die Penzing Studios konnten für den Standort Deutschland mit erfolgreich umgesetzten Großprojekten wichtige Credits holen. Ein Vergleich von echtem Set mit Reisekosten und typischen Unwägbarkeiten kann ganz einfach mit den Möglichkeiten im Studio verglichen werden. Auch die Nutzung kreativer Elemente oder Mitwirkender kann dadurch optimiert werden. Welche Unterhaltungsformen werden sich wohl dadurch ergeben, wenn man KI und Live-Kompetenz dazu addiert? Vermutlich werden wir den nächsten, wirklich großen Innovationsschub und Markterfolg eher bei Show und Nonfiction erleben. Kein Wunder, dass auch hiesige Marktführer genau in diesen Bereichen massiv Kompetenzen und Ressourcen ausgebaut haben.

Für eine zuverlässige Weiterentwicklung unseres Standorts fehlt jetzt vor allem die längst überfällige Förderreform

Dein Ensider:Team
(Autor: Markus Vogelbacher)

 

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