Jetzt gibt es eine gute Chance, die Weichen für das neue Jahr auf Erfolg zu stellen: Ohne parteitaktische Manöver und sachorientierte Beurteilung der empirisch vielfach belegten Fakten, spricht nichts gegen und vieles für schnelle Beschlüsse des zu reformierenden Filmförderungsgesetz (FFG) und der neu zu beschließenden Variante des bestehenden, bewährten Forschungszulagengesetzes - mit Anpassungen für Filmproduktion als Steueranreizmodell. Mit dem Mut der politischen Akteure, ist der Weg für schnelle Neuwahlen frei. Die Beschlüsse sind jedoch von so zentraler, existenzieller Bedeutung für Unternehmer und Arbeitsplätze, dass kein Aufschub bis ins nächste Jahr riskiert werden kann. Deutschland verfügt über eine lange Tradition, große Krisen zu managen. Im internationalen Vergleich war eine Wirtschaftspolitik, die privates Kapital für eine ganze Branche anzieht und Rahmenbedingungen für erfolgreich bestehende Wirtschaftsteilnehmer generiert, immer erfolgreicher als mikroökonomische Maßnahmen für einzelne, von der Politik ausgewählte Unternehmen. Selten sind sich die verschiedenen Stakeholder in einem Industriezweig einig, was zu tun ist. Das ist hier der Fall und sollte schon deshalb von den Abgeordneten im Bundestag Gehör finden. Die aktuell von einer breiten Gemeinschaft der Branche getragenen Reformen, hin zu wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen, führen zwangsläufig zur Umsetzung internationaler und deutscher Großprojekte in Deutschland.
Die eine politische Denkschule sieht das Kollektiv im Mittelpunkt, mit einem aktiven Staat, der stark regulierend den Bürgern unter die Arme greift: Umverteilung von Erfolgreichen und damit Vermögenden hin zu denen, die Hilfe benötigen. In der Konsequenz muss der Staat alle Ausgaben selbst aufbringen, was nur über die Erhöhung von Steuern oder Verschuldung zu bewerkstelligen ist. In Deutschland folgen insbesondere SPD und Grüne diesem Konzept, in den USA die Demokraten.
Liberalkonservative Politik möchte die „Fleißigen“ belohnen, vor allem durch steuerliche Entlastung. Erfolgsfaktoren sollen im Land bleiben und Erfolgsträger, Menschen und Unternehmen aus dem Ausland zur Ansiedlung motiviert werden. Geht das Konzept auf, tragen private Investitionen in Infrastruktur und höhere Steuereinnahmen einen Großteil der Last, die sonst der Staat übernehmen müsste. Hierzulande im Parteiprogramm der Union und der FDP, in den USA eigentlich die DNA der Republikaner vor der MAGA-Übernahme von Donald Trump.
Der Eintritt in den Wettbewerb mit anderen Standorten baut auf attraktivere wirtschaftliche Rahmenbedingungen auf, die durch allgemein zugängliche Branchenprogramme (hier würde man von automatischer Förderung sprechen) ergänzt werden, um strukturelle Nachteile auszugleichen oder zusätzliche Anreize zu setzen. In der Theorie sollen diese Anreizmodelle nur temporär eingesetzt werden, bis die strukturellen Rahmenbedingungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit entsprechen.
Durch den stetig wachsenden, globalen Markt für Entertainment-Produktion gibt es weltweit einen Fördereffekt, der von internationalen Playern erwartet wird. Das liegt insbesondere an dem Hebeleffekt, den Filmproduktionen für eine Volkswirtschaft bedeuten (SPI Olsberg spricht vom Ripple-Effekt, andere vom Leverage-Effekt). Jeder lokal ausgegebene Produktionsbudget-Euro (oder Dollar) verursacht zusätzliche Ausgaben der Crew in lokale private Aktivitäten, Verbesserung der Vermarktbarkeit der Region für Tourismus oder die Erhöhung der Attraktivität eines Standorts zur internationalen Fachkräftegewinnung für andere Branchen. Dieser Effekt wurde weltweit und regelmäßig von anerkannten Sachverständigen nachgewiesen und ist auch bei Fiskalspezialisten unstrittig. Der Produzent erhält im internationalen System deshalb eine Art indirekte Belohnung über automatische, ausgabengesteuerte Förderung.
Um das für den Standort relevante Ausgabenvolumen (Local Spend) des Produzenten zu honorieren, hat sich international eine Verrechnung mit Steuerverbindlichkeiten bewährt. Diese heißen je nach konkretem Modell beispielsweise Tax Incentive (Steuervorteil) oder Tax Credit (Steuerguthaben). Der Unterschied liegt oft in der Einlösbarkeit dieser Steuergutschriften, also ob sie direkt in Geld umgewandelt werden können, an andere Steuerpflichtige veräußerbar sind oder mit eigenen Steuerverpflichtungen verrechnet werden. Mit dem DFFF hat man sich in Deutschland für ein echtes Subventionsprogramm entschieden: einen nicht rückzahlbaren Zuschuss. Übrigens sind alle diese Wettbewerbsverzerrungen in der EU reguliert, wobei kleinere Länder oder kleinere Volumen von Ausnahmen profitieren können.
Welchen massiven volkswirtschaftlichen Effekt diese Anreizmodelle bewirken, sieht man in Großbritannien, in Ungarn, aber auch in Kanada. Selbst innerhalb der USA, als weltweit investitionsstärkstem Land der Entertainment-Industrie, konkurrieren die Bundesstaaten untereinander. Für Aufsehen sorgte kurz vor der US-Wahl die Budgeterhöhung des kalifornischen Fördersystems, um bereits abgewanderte TV-Produktionen aus den umliegenden Bundesstaaten zurückzuholen. Die Wirtschaftskraft im demokratisch regierten Kalifornien hatte so sehr abgenommen, dass man den prosperierenden, republikanisch geführten Nachbarn etwas entgegensetzen wollte, um der Abwanderung vieler Fachkräfte, Leistungsträger, Investoren und Prominenter entgegenzuwirken.
In der Regel versuchen Standorte mit geringer eigener Wirtschaftskraft, ausländische Projekte anzuziehen. Nur die Produktionstätigkeit, also Dreharbeiten, Postproduktion und VFX, generiert durch den beschriebenen Hebeleffekt einen signifikanten volkswirtschaftlichen Effekt. Deutschland hat den großen Vorteil einer eigenen, erfolgreichen, substanziellen Kreativwirtschaft. Die starke Wirtschaftskraft Deutschlands spiegelt sich außerdem in verfügbaren Direkteinnahmen wider, durch den Verkauf von Kinokarten und Streaming-Abos sowie indirekte Marketingeinnahmen, bei denen Content als Publikumsmagnet und „Werbeverpackung“ benötigt wird.
Die aktuell diskutierten, kurz vor Umsetzung stehenden Gesetze zur Verbesserung der hiesigen Rahmenbedingungen hätten auch kurzfristig eine direkte Auswirkung auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. Beim Film werden traditionell auch ungelernte Kräfte, vor und hinter der Kamera, vergleichsweise hoch bezahlt. Die Eintrittsbarriere ist niedriger als in den meisten anderen Branchen. Die Produktionstätigkeit ist nicht nur auf die Ballungsräume begrenzt, sondern erstreckt sich über das gesamte Land, vom Schwarzwald bis zur Ostsee. Durch eine starke Produktionsaktivität werden auch in strukturschwachen Regionen Infrastrukturen nachhaltig gestärkt. Kaum eine andere Branche hat so starke Wachstumsprognosen wie die Entertainment-Industrie. Innovative Technologien und Manufaktur-Fertigung, beides absolute Stärken des Standortes Deutschlands, blicken auf eine lange Tradition und internationale Reputation zurück. Das Potenzial für Beschäftigung, Standortmarketing und letztlich auch Steuereinnahmen ist unvergleichlich hoch.
Die Liste der Vorteile sprengt bei weitem den Rahmen dieses Artikels und ist gut dokumentiert in zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen und der Fachliteratur. Jeder Einzelne kann jetzt mit seiner Stimme, seiner Reichweite und seinem Netzwerk zur Verbesserung des Standorts beitragen. Wie eingangs beschrieben, gibt es unterschiedliche Denkschulen zur Wirtschaftspolitik. Das vorliegende Maßnahmenpaket deckt sich mit beiden Positionen und könnte deshalb auch eine Vorbildfunktion einnehmen für weitere Wirtschaftszweige. Helft mit, unseren Standort zu verbessern – gemeinsam.
P.S.: Die Thematik dieses Artikels ist nicht unkomplex und wird durch Genderkennzeichnung schwerer lesbar und verständlich. Selbstverständlich unterstützen wir Gleichheit, Gerechtigkeit und Inklusion, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Glauben und politischer Einstellung.
Euer Ensider:Team
(Autor: Markus Vogelbacher)
Bild erstellt mithilfe von OpenAI’s DALL-E